Freitag, 23. September 2016


Wartburg Grundschule MünsterBesuch am 20.09.2016

„Wo Eltern sich wohl fühlen, fühlen sich die Kinder auch wohl“

Vom RBZ Wirtschaft Kiel sind wir nachmittags direkt weitergefahren nach Münster. Dort gab es ein zauberhaftes Candle-Light-Dinner auf dem Balkon von Claras Oma und nach einer Nacht im Clubhaus im Wald am Kaminofen ging es in aller Herrgottsfrühe zur Wartburg Grundschule. Fast ein bisschen sehr früh für den studentischen Organismus.

Der Kontrast zwischen diesen beiden Schulen in Kiel und Münsterhätte größer kaum sein können. Das RBZ mit 4500 Schüler*innen, hauptsächlich in berufsbildenden Kursen, einem riesigen nagelneuen, viereckigen Gebäude das kühl und professionell wirkt, und dann die gemütliche Grundschule mit süßen, kleinen Kindern (an der Zahl) lauter Ecken und Nischen zum Sitzen und Liegen, Arbeiten und Entspannen, Rennen und Spielen. Auch hier wurde architektonisch bereits die Grundlage für die Pädagogik gelegt. 

Die Schule besteht aus 4 miteinander verbundenen Häusern, sogenannten „Kinderhäusern“, die nach den Kontinenten benannt sind (Afrika, Australien, Europa und Asien). Jedes Haus hat seinen eigenen kleinen „Garten“ und hinter den Gärten ein wunderschöner hügeliger, grüner Pausenbereich. In jedem Haus sind vier Klassen der Stufen 1-4 untergebracht, die in jahrgangsübergreifenden Gruppen (1+2 und 3+4) zusammen unterrichtet werden. Im unteren Stockwerk der Häuser sind die Kleinen, die dann beim Übergang in Stufe 3 in „ihrem“ Haus bleiben und in das obere Stockwerk ziehen. (kleine Anekdote am Rande: „Eine Schülerin läuft das 1. Mal als Drittklässlerin die Treppe hoch, hält inne, schaut zurück nach und unten und sagt: „Ich bin so Stolz!!!!“) Mit dem Übergang in die dritte Klasse treten sie außerdem ein in eine zweijährige musikalische Ausbildung an einem Instrument und im Orchester. Schulleiterin Gisela: „Es gibt einige Dinge, die sollte jedes Kind mal gemacht haben: Ein Tier pflegen, ein Feuer machen, ein Instrument spielen lernen, ...“ Die Instrumente, die dafür gebraucht wurden, hat die Schule vom Geld des Deutschen Schulpreises, den sie erhalten hatte, gekauft; Tiere pflegen wird beim Reiten in einer reittherapeutischen Einrichtung geübt. Zum Bedauern der Schulleiterin hat die Schule keine eigenen Tiere.

Das Frühaufstehen hat sich gelohnt. Wir haben so die Chance die „Eingangsphase“ zu erleben. Die findet von 7:45-8:15 statt und die Eltern werden ermutigt dabei zu sein, um in ruhiger konzentrierter Atmosphäre teilzuhaben an dem, was das Kind sich gerade erarbeitet. Sie sollen weder mahnen noch helfen, sondern nur (evtl. nachfragend) ihr Interesse und ihre Anteilnahme zeigen an dem was ihre Sprösslinge gerade geschafft haben. Das geht zu Hause gar nicht, weil die glücklichen Kinder der Wartburg Grundschule keine Hausaufgaben gestellt bekommen und alle Materialien in der Schule bleiben. Nur wenn für Projekte etwas vorbereitet oder mitgebracht werden muss gibt es „Hausaufgaben“.

Nachdem die Eltern sich verabschiedet haben, beginnt der Schultag mit einem Ritual das in allen Klassen der Schule durchgeführt wird: der Tagesplan.
Da es an der Schule keinen Stundenplan im klassischen Sinne gibt (nur Sport ist zu festen Zeiten, damit das Sportzeug mitgebracht wird), wird auf dem Tagesplan klar, was für den Tag ansteht. Er ist jeden Tag anders (so haben die kleinen immer einen Leseanlass und man kann nicht einfach auswendig lernen), bunt gestaltet und wird von einem Schüler vorgetragen. Dieser übt selbstbewusst vor einer Gruppe zu stehen und zu sprechen, für Aufmerksamkeit zu sorgen und nebenbei auch lesen. Die Anderen üben sich im aufmerksamen Zuhören. Sie stellen Verständnisfragen und geben dem der vorne steht ein Feedback ob er gut verständlich war. Die Lehrkraft hält sich dabei absolut im Hintergrund. Danach geht wie von Zauberhand geführt die Arbeit los.
Alle wissen, was sie zu tun haben. Der Raum bietet Materialien für die selbstständige Arbeit in Hülle und Fülle (und die Schüler*innen kennen sich dort aus) und Lernpläne und selbstgestaltete Lernlandkarten geben Orientierung darüber was als nächstes ansteht.

In den unteren Jahrgängen werden die Regeln für die Freiarbeit erklärt und geübt. „Wer sich an Regeln hält, hat die größte Freiheit“, sagt Gisela und das lässt sich auch beobachten. Hier darf man sich selbst aussuchen woran man arbeitet, wohin man sich setzt, wann man mal eine kleines Päuschen einlegt....
Bei Fragen greift ein Helfersystem. Erst fragt man seinen Nachbarn, dann die anderen am Gruppentisch, dann den Helfer und nur wenn der es nicht weiß, dann die Lehrkraft. Und wenn diese gerade beschäftig ist einem anderen zu helfen, macht man so lange etwas Anderes, zu tun gibt es immer viel. Dadurch bildet sich vor der Lehrkraft keine Schlange und keiner muss seine Zeit mit warten verbringen. Außerdem lernt man hier Hilfe zu suchen wenn man sie braucht, nett danach zu fragen, nicht überheblich zu reagieren wenn man gefragt wird und auch sich zu trauen „das kann ich nicht“ zu sagen.
Die Schulleiterin Gisela (alle Lehrer werden hier geduzt und mit Vornamen angesprochen) trägt keine Hausschuhe, sie sagt es sei ihr unangenehm in Hausschuhen vor dem Schuldezernenten zu stehen, wenn dieser überraschend auftaucht, alle anderen ziehen ihre Straßenschuhe aus. Gefragt nach ihrer Rolle als Schulleiterin einer Schule die verschiedenste Schüler- und Lehrergremien hat, die demokratisch Dinge des Alltags entscheiden (jedes Haus hat ein Team, das sich gegenseitig vertritt im Krankheitsfall und gemeinsam ein Deputat hat über das für das Haus eigenständig Anschaffungen gemacht werden dürfen, es gibt Klassenräte und Schulparlamentarier, eine Steuergruppe – eine Art Zwischenglied zwischen Kollegium und Schulleitung – und noch einiges mehr) sagte sie uns, sie sei die „Hüterin des Konzepts“, die dafür Sorge trägt, dass die vielen Entscheidungen die getroffen werden dürfen und müssen stets im Sinne des Konzepts sind. Schulentwicklungsarbeit ist im Konzept verankert und für jeden verpflichtend, doch das Konzept selbst soll die Grundwerte und –einstellungen der Schule tragen und sichern.

Noten gibt es an der Wartburg Grundschule nicht, sondern individuelle Lernstandsrückmeldungen, die in der vierten Klasse in ein Notenzeugnis zum Übergang an weiterführende Schulen übersetzt wird. Gisela kritisiert das Benotungssystem an den weiterführenden Schulen sehr. Sie sagt, dass es unfair ist, da es einen Lernstand zu einem bestimmten Zeitpunkt darstellt und nicht sichert, dass das Lernziel auch erfasst wird. Hat ein Schüler eine 5 geschrieben, ist das Thema trotzdem abgehakt und es schert sich keiner danach, ob er die wichtigen Lerninhalte nun lernt oder nicht. Sie sagt, dass auch an weiterführenden Schulen Beziehungsarbeit in zentrales Thema sein sollte.
Ihr Ziel ist der Ausbau der Schule bis zur 10. Klasse, um das zukunftsweisende Konzept der Wartburg Grundschule, das vor vierzig Jahren entwickelt wurde und für einige Eltern des Einzugsgebiets immer noch beängstigend neu und unbekannt ist. Dadurch könnten die Grundschullehrer die weitere Entwicklung ihrer Schützlinge direkt miterleben und davon noch mehr Erkenntnisse für die eigene Arbeit gewinnen.

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