Im
Gebäude der Werkstattschule in Rostock (WiR) werden wir gleich von
einer freundlichen Atmosphäre empfangen. Der Ankömmling kann hier,
noch orientierungslos im Foyer stehend, durch eine verglaste Wand
direkt in das Lehrerzimmer im ersten Stock sehen. Nicht nur die Wand
ist ungewöhnlich, auch die Zusammensetzung der Menschen, die da zu
sehen sind, ist es – da tummeln sich nicht nur Lehrer*innen!
Genauso selbstverständlich wie die Lehrer*innen bewegen sich auch
Schüler*innen durch den Raum. Wir wissen aber, dass es das
Lehrerzimmer ist, weil Jannis es uns bereits verraten hat. Der war
bei einer früheren Lernreise schon einmal hier.
Hier
wird eine besondere Beziehungskultur gepflegt!
Für
die Unterrichtsbeobachtungen, von uns “Hospitation” genannt,
werden wir auf verschiedene Jahrgangsstufen von der Grundschule bis
zur 12. Klasse eingeteilt und erfahren,
- dass
alle Schüler*innen in jahrgangsübergreifende Stammgruppen
eingeteilt sind. In der Primarstufe werden die Klassen 1–4
gemeinsam unterrichtet, ab der 5. Klasse sind immer zwei
Jahrgangsstufen zusammen; aufgeteilt in 4 “Stammgruppen”
- dass
für alle der Schultag mit einem halbstündigen Morgenkreis in ihrer
Stammgruppe beginnt (der, abgesehen davon, dass er von den
Klassenleiter*innen betreut wird und in einem Sitzkreis statt findet,
keinen festen Regeln folgt)
- dass
wir in einer Zeit gekommen sind, der die Schule ihren Namen verdankt:
Es ist Werkstattphase.
Jeder
Doppeljahrgang bearbeitet ein Thema. Als Beispiel: Die Klassen 9 und
10 haben das Thema DDR. Sie waren (wie alle Klassen der Schule) die
erste Schulwoche auf Klassenfahrt. Diese hat sie nach Berlin geführt,
wo sich in Gedenkstätten und Museen über Geschichte und Leben in
der DDR informiert haben. Die nächsten zwei Wochen werden sie
Pionierslieder singen (=Musik), Literarische Werke von Zeitzeugen
lesen und bearbeiten (=Deutsch), die Geschichte der Trennung und
Wiedervereinigung genauer kennen lernen (=Geschichte), Plan- und
Marktwirtschaft unterscheiden lernen sowie die Verbreitung des
Sozialismus und der Planwirtschaft auf der Erde (=Geografie) u.s.w.
Die Zusammensetzung der Fächer variiert je Werkstatt, aber jede
Werkstatt stellt eine breite fachliche Vernetzung dar.
Zur
Werkstatt gibt es einen speziellen Werkstatt-Stundenplan und eine
Werkstatt-Mappe mit Materialien, die die Schüler*innen
selbstständig, zu zweit in der Gruppe oder alleine bearbeiten.
Außerdem liegen zusätzliche Materialien herum, auf die
zurückgreifen kann, wer etwas noch vertiefender erfahren möchte.
Weitere
Angebote stehen als Wahlpflicht zur Auswahl. In diese kann und muss
man sich einschreiben. Die 11./12. Klasse, die das Thema “Identity”
bearbeitet, kann hier beispielsweise wählen zwischen einer Einheit
Yoga und der Big Five, einer kurzen Einführung über psychologische
Katergorisierungen menschlicher Persönlichkeitsmerkmale, die dann im
Morgenkreis stattfindet.
Die
“Werkstätten” sind nicht die einzige außergewöhnliche
Unterrichtsform an der WiR – alle Projektphasen, AG's, Fahrten und
Events hier zu beschreiben, würde jedoch den Rahmen sprengen. Man
kann zusammenfassend sagen, dass von der ersten Klassen an viel
individuell und autonom gelernt wird, viel Wahlmöglichkeit gegeben
wird und die Lehrer*innen dabei einen engen Kontakt pflegen und den
Schüler*innen helfend und beratend zur Seite stehen.
Es gibt
aber auch “normalen” Unterricht. Außerhalb der Werkstattphase
werden viele Fächer dann nicht in den Stammgruppen, sondern in den
Jahrgangsstufen (hier wird der Begriff Kurs genutzt, das Wort
“Klasse” ist uns an dieser Schule nicht begegnet) und “normalen”
Unterrichtsstunden gelehrt.
Bei der
Entwicklung der Unterrichtsformen haben sich die innovationsbereiten
Gründer*innen verschiedenste pädagogische Konzepte genau angeschaut
und sich inspirieren lassen. Auch jetzt noch ist Bereitschaft zu
Veränderung ein grundlegendes Prinzip der Schule, die sich als
“Lernende Institution” versteht.
Die
(demokratisch für vier Jahre gewählte) pädagogische Leiterin
Angela Eggers der Sekundarstufe sagt dazu: “Grundlagen tragen durch
den Alltag. Um Grundlagen zu legen braucht man Zeit und ruhige Orte.
Die versuchen wir strukturell zu schaffen.” Dafür hat die Schule
auf verschiedensten Ebenen verschiedene Verfahren etabliert. Es gibt
-
Kongresse und Tagungen von Gruppen von Lehrer*innren in verschiedener
Zusammensetzung (Fachbereiche, Klassenleiter*innen, pädagogische
Leitung, Gesamtkollegium, ….) bieten Raum und Zeit, für
alltägliche Probleme gemeinsame Lösungen zu entwickeln.
-In der
kollegialen Evaluation besuchen Lehrende sich gegenseitig im
Unterricht um diesen gemeinsam zu evaluieren
-Einmal
jährlich wird eine Schülerevaluation durchgeführt, bei der die
Schüler*innen auf einem Fragebogen nach ihrer Meinung befragt
werden.
Wenn
Änderungen angestrebt werden gelten immer drei Leitfragen: Ist das
was wir wollen beziehungsfördernd? Ist es entwicklungsfördernd? Und
auch leistungsfördernd?
Ein
großes Diskussionsthema im Kollegium ist derzeit die Frage “Wie
wird Beziehung gestaltet?”. Dafür wird momentan an einer
Erneuerung und Weiterentwicklung des Kummerkastens gearbeitet werden.
Anstelle eines alten grauen Briefkastens soll ein ansprechendes
System treten, in dem sorgengeplagte Schüler*innen den richtigen
Ansprechpartner für ihr individuelles Probleme ermitteln können.
Die
Schule mit ihrer Selbstreflektion, der Bereitschaft zur Veränderung
und einem auffallend achtsamen und harmonischen Umgang miteinander
hat uns beeindruckt. Natürlich drängt sich im Kontext einer Schule
in privater Trägerschaft immer auch die Frage auf, ob diese
harmonische Gemeinschaft nur zu Stande kommen kann, weil das Klientel
von vornherein nicht die gesellschaftliche Realität abbildet,
sondern einem gehobenen Kreis bildungsnaher, wirtschaftlich gut
situierter Elternhäuser entstammt. Auch die pädagogischen Leiter
sind sich dessen bewusst und sagen auch klar, dass es zwar
Stipendienplätze gibt und auch Schüler*innen (z.B.
Flüchtlingskinder) völlig ohne Schulgeld aufgenommen werden, aber
trotzdem eine automatische Vorauswahl der Schüler*innen dadurch
passiert, dass viele Elternhäuser über die WiR als mögliche Schule
für ihr Kind nicht einmal nachdenken.
Konzeptionell
steht die Schule einer Vielfalt an Schüler*innen offen. Auch Kinder
und Jugendliche mit besonderem Förderbedarf sind hier zu finden.
Wobei die Schule den Inklusionsgedanken nicht in Bezug auf
Behinderung oder spezieller Förderung sieht (wie das derzeit
politisch oft geschieht), sondern im eigentlichen Sinn: Ein
vielfältiges und achtsames Menschenbild als anzustrebendes Ideal.
Wenn ihr weiter neugierig seid, hört unseren Podcast!! Da erzählen Vincent, Robert und ich euch von den Lehr- und Lernformen, die uns an der WiR begegnet sind..
Wenn ihr weiter neugierig seid, hört unseren Podcast!! Da erzählen Vincent, Robert und ich euch von den Lehr- und Lernformen, die uns an der WiR begegnet sind..
Die ganzen Texte lesen sich so gut! Echt spannend das Konzept von der WiR.
AntwortenLöschenDanke fürs mit auf die Reise nehmen!