Wartburg Grundschule
MünsterBesuch am 20.09.2016
„Wo Eltern sich
wohl fühlen, fühlen sich die Kinder auch wohl“
Vom RBZ Wirtschaft
Kiel sind wir nachmittags direkt weitergefahren nach Münster. Dort
gab es ein zauberhaftes Candle-Light-Dinner auf dem Balkon von Claras
Oma und nach einer Nacht im Clubhaus im Wald am Kaminofen ging es in
aller Herrgottsfrühe zur Wartburg Grundschule. Fast ein bisschen
sehr früh für den studentischen Organismus.
Der Kontrast
zwischen diesen beiden Schulen in Kiel und Münsterhätte größer
kaum sein können. Das RBZ mit 4500 Schüler*innen, hauptsächlich in
berufsbildenden Kursen, einem riesigen nagelneuen, viereckigen
Gebäude das kühl und professionell wirkt, und dann die gemütliche
Grundschule mit süßen, kleinen Kindern (an der Zahl) lauter Ecken
und Nischen zum Sitzen und Liegen, Arbeiten und Entspannen, Rennen
und Spielen. Auch hier wurde architektonisch bereits die Grundlage
für die Pädagogik gelegt.
Die Schule besteht
aus 4 miteinander verbundenen Häusern, sogenannten „Kinderhäusern“,
die nach den Kontinenten benannt sind (Afrika, Australien, Europa und
Asien). Jedes Haus hat seinen eigenen kleinen „Garten“ und hinter
den Gärten ein wunderschöner hügeliger, grüner Pausenbereich. In
jedem Haus sind vier Klassen der Stufen 1-4 untergebracht, die in
jahrgangsübergreifenden Gruppen (1+2 und 3+4) zusammen unterrichtet
werden. Im unteren Stockwerk der Häuser sind die Kleinen, die dann
beim Übergang in Stufe 3 in „ihrem“ Haus bleiben und in das
obere Stockwerk ziehen. (kleine Anekdote am Rande: „Eine Schülerin
läuft das 1. Mal als Drittklässlerin die Treppe hoch, hält inne,
schaut zurück nach und unten und sagt: „Ich bin so Stolz!!!!“)
Mit dem Übergang in die dritte Klasse treten sie außerdem ein in
eine zweijährige musikalische Ausbildung an einem Instrument und im
Orchester. Schulleiterin Gisela: „Es gibt einige Dinge, die sollte
jedes Kind mal gemacht haben: Ein Tier pflegen, ein Feuer machen, ein
Instrument spielen lernen, ...“ Die Instrumente, die dafür
gebraucht wurden, hat die Schule vom Geld des Deutschen Schulpreises,
den sie erhalten hatte, gekauft; Tiere pflegen wird beim Reiten in
einer reittherapeutischen Einrichtung geübt. Zum Bedauern der
Schulleiterin hat die Schule keine eigenen Tiere.
Das Frühaufstehen
hat sich gelohnt. Wir haben so die Chance die „Eingangsphase“ zu
erleben. Die findet von 7:45-8:15 statt und die Eltern werden
ermutigt dabei zu sein, um in ruhiger konzentrierter Atmosphäre
teilzuhaben an dem, was das Kind sich gerade erarbeitet. Sie sollen
weder mahnen noch helfen, sondern nur (evtl. nachfragend) ihr
Interesse und ihre Anteilnahme zeigen an dem was ihre Sprösslinge
gerade geschafft haben. Das geht zu Hause gar nicht, weil die
glücklichen Kinder der Wartburg Grundschule keine Hausaufgaben
gestellt bekommen und alle Materialien in der Schule bleiben. Nur
wenn für Projekte etwas vorbereitet oder mitgebracht werden muss
gibt es „Hausaufgaben“.
Nachdem die Eltern
sich verabschiedet haben, beginnt der Schultag mit einem Ritual das
in allen Klassen der Schule durchgeführt wird: der Tagesplan.
Da es an der Schule
keinen Stundenplan im klassischen Sinne gibt (nur Sport ist zu festen
Zeiten, damit das Sportzeug mitgebracht wird), wird auf dem Tagesplan
klar, was für den Tag ansteht. Er ist jeden Tag anders (so haben die
kleinen immer einen Leseanlass und man kann nicht einfach auswendig
lernen), bunt gestaltet und wird von einem Schüler vorgetragen.
Dieser übt selbstbewusst vor einer Gruppe zu stehen und zu sprechen,
für Aufmerksamkeit zu sorgen und nebenbei auch lesen. Die Anderen
üben sich im aufmerksamen Zuhören. Sie stellen Verständnisfragen
und geben dem der vorne steht ein Feedback ob er gut verständlich
war. Die Lehrkraft hält sich dabei absolut im Hintergrund. Danach
geht wie von Zauberhand geführt die Arbeit los.
Alle wissen, was sie
zu tun haben. Der Raum bietet Materialien für die selbstständige
Arbeit in Hülle und Fülle (und die Schüler*innen kennen sich dort
aus) und Lernpläne und selbstgestaltete Lernlandkarten geben
Orientierung darüber was als nächstes ansteht.
In den unteren
Jahrgängen werden die Regeln für die Freiarbeit erklärt und geübt.
„Wer sich an Regeln hält, hat die größte Freiheit“, sagt
Gisela und das lässt sich auch beobachten. Hier darf man sich selbst
aussuchen woran man arbeitet, wohin man sich setzt, wann man mal eine
kleines Päuschen einlegt....
Bei Fragen greift
ein Helfersystem. Erst fragt man seinen Nachbarn, dann die anderen am
Gruppentisch, dann den Helfer und nur wenn der es nicht weiß, dann
die Lehrkraft. Und wenn diese gerade beschäftig ist einem anderen zu
helfen, macht man so lange etwas Anderes, zu tun gibt es immer viel.
Dadurch bildet sich vor der Lehrkraft keine Schlange und keiner muss
seine Zeit mit warten verbringen. Außerdem lernt man hier Hilfe zu
suchen wenn man sie braucht, nett danach zu fragen, nicht überheblich
zu reagieren wenn man gefragt wird und auch sich zu trauen „das
kann ich nicht“ zu sagen.
Die Schulleiterin
Gisela (alle Lehrer werden hier geduzt und mit Vornamen angesprochen)
trägt keine Hausschuhe, sie sagt es sei ihr unangenehm in
Hausschuhen vor dem Schuldezernenten zu stehen, wenn dieser
überraschend auftaucht, alle anderen ziehen ihre Straßenschuhe aus.
Gefragt nach ihrer Rolle als Schulleiterin einer Schule die
verschiedenste Schüler- und Lehrergremien hat, die demokratisch
Dinge des Alltags entscheiden (jedes Haus hat ein Team, das sich
gegenseitig vertritt im Krankheitsfall und gemeinsam ein Deputat hat
über das für das Haus eigenständig Anschaffungen gemacht werden
dürfen, es gibt Klassenräte und Schulparlamentarier, eine
Steuergruppe – eine Art Zwischenglied zwischen Kollegium und
Schulleitung – und noch einiges mehr) sagte sie uns, sie sei die
„Hüterin des Konzepts“, die dafür Sorge trägt, dass die vielen
Entscheidungen die getroffen werden dürfen und müssen stets im
Sinne des Konzepts sind. Schulentwicklungsarbeit ist im Konzept
verankert und für jeden verpflichtend, doch das Konzept selbst soll
die Grundwerte und –einstellungen der Schule tragen und sichern.
Noten gibt es an der
Wartburg Grundschule nicht, sondern individuelle
Lernstandsrückmeldungen, die in der vierten Klasse in ein
Notenzeugnis zum Übergang an weiterführende Schulen übersetzt
wird. Gisela kritisiert das Benotungssystem an den weiterführenden
Schulen sehr. Sie sagt, dass es unfair ist, da es einen Lernstand zu
einem bestimmten Zeitpunkt darstellt und nicht sichert, dass das
Lernziel auch erfasst wird. Hat ein Schüler eine 5 geschrieben, ist
das Thema trotzdem abgehakt und es schert sich keiner danach, ob er
die wichtigen Lerninhalte nun lernt oder nicht. Sie sagt, dass auch
an weiterführenden Schulen Beziehungsarbeit in zentrales Thema sein
sollte.
Ihr Ziel ist der
Ausbau der Schule bis zur 10. Klasse, um das zukunftsweisende Konzept
der Wartburg Grundschule, das vor vierzig Jahren entwickelt wurde und
für einige Eltern des Einzugsgebiets immer noch beängstigend neu
und unbekannt ist. Dadurch könnten die Grundschullehrer die weitere
Entwicklung ihrer Schützlinge direkt miterleben und davon noch mehr
Erkenntnisse für die eigene Arbeit gewinnen.